Grundlagen der D&O-Exzedentenversicherung und Herausforderungen bei der Schadenbearbeitung

Die meisten großen Unternehmen haben sie und im Falle von Großschäden rückt sie immer wieder ins Rampenlicht: Die Exzedentenversicherung. Auch derzeit ist sie aufgrund des Wirecard-Falles wieder im Gespräch, da laut Medienberichten die Versicherungssumme des D&O-Grundversicherers Chubb nahezu ausgeschöpft ist. Sobald der US-Versicherer die gesamte Versicherungssumme in Höhe von 15 Millionen Euro ausgezahlt hat, sind die weiteren im D&O-Versicherungsturm der Wirecard AG beteiligten Versicherer, die sogenannten Exzedentenversicherer, in der Pflicht. Doch wozu genau dient eine Exzedentenversicherung, welche Besonderheiten sind zu beachten und vor welche Herausforderungen stellt sie Makler und Versicherungsnehmer bei der Schadenbearbeitung? Um diese Fragen zu beantworten, haben wir nachfolgend einen Überblick zu Zweck, Struktur und den Grundlagen der Exzedentenversicherung zusammengestellt. Zudem geben wir einen kleinen Einblick in die Finlex Claims-Praxis zu den Herausforderungen in der Schadenbearbeitung.

Zweck und Struktur der Exzedentenversicherung

Die maximale Versicherungssumme, die ein einzelner Versicherer für ein D&O-Risiko abbilden kann, übersteigt den Betrag von EUR 20 Mio. in der Regel nicht, häufig liegt dieser Betrag sogar deutlich drunter. Wie in den letzten Jahren unter anderem am Beispiel des D&O-Schadenfalls der Dieselaffäre zu beobachten war, überschreiten Großschäden diese Summe aber schnell. Allein Abwehrkosten können in umfangreichen Schadenfällen, in denen mehrere Leitungsorgane in Anspruch genommen werden, schnell den zwei- oder dreistelligen Millionenbereich erreichen. Großunternehmen reicht die Versicherungssumme, die ein einzelner Versicherer anbietet, daher in der Regel nicht. Ihr Ziel, dennoch eine ausreichende Versicherungsdeckung einkaufen zu können, wird dank der Exzedentenversicherung erreicht.

Bei der Exzedentenversicherung wird das gesamte D&O-Risko „vertikal“ unter mehreren Versicherern aufgeteilt. Dabei werden mehrere Versicherungsschichten, sogenannte Layer, über dem Grundversicherer aufeinandergeschichtet, sodass sich am Ende ein Versicherungsturm ergibt, an dem verschiedene Versicherer beteiligt sind, der aber grundsätzlich dasselbe Risiko absichert.

Der Grundversicherer (oder auch „Primary“) bildet dabei die Basis, auf der sich der Versicherungsturm aufbaut. Als erster Versicherer, der auf einen Schadenfall reagieren muss, trägt der Grundversicherer das größte Risiko, weshalb die Prämien für der Grundversicherer in der Regel höher sind. Wird die Versicherungssumme des Grundversicherers aufgebraucht, kommt der 1. Exzedentenversicherer ins Spiel, der dann eine Deckungsentscheidung zu treffen und ggf. Versicherungsschutz zu leisten hat. Sofern auch diese Versicherungssumme ausgeschöpft wird, ist der 2. Exzedentenversicherer an der Reihe, usw. So kann ein Schadenfall nach und nach den gesamten Versicherungsturm aufbrauchen, bis die Spitze des Turms erreicht wird.

Neben der „vertikalen“ Aufteilung des Risikos erfolgt häufig auch eine „horizontale“ Risikoaufteilung (sog. offene Mitversicherung). Hierbei beteiligen sich mehrere Versicherer nebeneinander an einem Layer oder an der Grunddeckung des Versicherungsturms. Finden sich viele Versicherer, die an dem jeweiligen D&O-Risiko als Mitversicherer bzw. Exzedentenversicherer interessiert sind, können Versicherungssummen erreicht werden, die eine halbe Milliarde und mehr betragen.

Grundlagen der Exzedentenversicherung

Voraussetzungen für die Eintrittspflicht der Exzedentenversicherer

Grundsätzlich gilt, dass die Versicherungssummen, die durch Exzedentenlayer abgedeckt werden, sich an die Kapazitäten des Grundversicherers sowie der ggf. vorangehenden Layer anschließen. Die Deckung unter der Exzedentenversicherung wird daher in der Regel erst nach der Ausschöpfung der unterliegenden Layer verfügbar. Doch unter welchen Umständen genau die Exzedentenversicherer eintrittspflichtig werden, hängt von den konkreten Versicherungsbedingungen ab. Hier kann beispielsweise geregelt sein, dass der Exzedentenversicherer nur dann eintrittspflichtig ist, wenn im Rahmen eines Versichersicherungsfalls die Kapazitäten des Grundversicherers ausgeschöpft sind. Es kann darüber hinaus allerdings auch vereinbart werden, dass auch im Falle des Eintritts eines neuen Versicherungsfalles während der Vertragslaufzeit der Exzedentenversicherer eintrittspflichtig wird, sofern die Versicherungssumme des Grundversicherers bzw. des vorangehenden Exzedentenversicherers aufgrund eines anderen Schadenfalls bereits aufgebraucht wird (sog. Drop-down).

Einheitliche Deckung über sog. „Following Form“-Verträge

Ferner ist zu beachten, dass der Grundvertrag – sowie die einzelnen Exzedentenverträge – jeweils rechtlich eigenständige Versicherungsverträge darstellen. Die einzelnen Verträge unterliegen daher auch den von den Parteien darin jeweils getroffenen Vereinbarungen. Da die Verträge insgesamt aber eine umfassende Deckung für dasselbe Risiko bieten sollen, muss bei den Verträgen innerhalb eines Versicherungsturms möglichst sichergestellt werden, dass die Deckung im gesamten Turm einheitlich ausgestaltet ist und im Schadenfall alle beteiligten Versicherer eine übereinstimmende Deckungsentscheidung treffen. Zu diesem Zweck werden Exzedentenversicherungen in der Regel auf der Grundlage von „Following Form“-Verträgen abgeschlossen. Dies bedeutet, dass der Exzedentenversicherer den Versicherungsschutz zu denselben Bedingungen des Grundvertrages anbietet, soweit im Exzedentenversicherungsvertrag nicht etwas Abweichendes geregelt wird.

Dennoch gibt es im Rahmen von Exzedentenverträgen immer wieder Klauseln, die nicht von allen Versicherern in derselben Form akzeptiert werden können. Gründe hierfür sind z.B. interne Underwriting-Vorgaben oder auch zu beachtende Richtlinien von Rückversicherern. Darüber hinaus kann auch die unterschiedliche Auslegung von Begriffen durch die Versicherer in Einzelfällen zu unterschiedlichen Ergebnissen führen.

Herausforderungen in der Schadenbearbeitung

Während es zwischen den Mitversicherern eines Layers in der Regel Führungsklauseln gibt, die dank entsprechender Vollmachten dafür sorgen, dass der Versicherungsnehmer Erklärungen und Anzeigen nur gegenüber dem führenden Versicherer abgeben muss, gibt es eine solche Führungsklausel zwischen den verschiedenen Exzedentenversicherern eines Versicherungsturms zumeist nicht. Dies führt dazu, dass jeder Exzedentenlayer die vertragsrechtlichen Fragen für den eigenen Versicherungsvertrag gesondert prüft und beurteilt.

Insgesamt führt die rechtliche Eigenständigkeit der Verträge – sowie die fehlende „layerübergreifende“ Führungsklausel – dazu, dass die Obliegenheiten des Versicherungsnehmers gegenüber jedem Versicherer selbständig zu erfüllen sind. Für den Makler, der einen Schadenfall betreut, hat dies nicht unerhebliche Konsequenzen, denn die einzuhaltenden Pflichten und Obliegenheiten der Versicherungsnehmer und der versicherten Personen vervielfältigen sich durch die Beteiligung von Exzedentenversicherern.

Praktische Bedeutung hat dies beispielsweise bei der Schadenmeldung oder Schadenupdates, welche i.d.R. gegenüber dem Grundversicherer sowie gegenüber jedem einzelnen Exzedentenversicherer erfolgen müssen. Ferner ist jeder Versicherer berechtigt, Auskünfte und Informationen zum Schadenfall einzuholen, sodass es nicht unüblich ist, dass jeder Versicherer seinen eigenen Fragenkatalog zusammenstellt und damit den Arbeits- und Zeitaufwand für Makler, Versicherungsnehmer und versicherte Personen erheblich erhöht.

Auch die deckungsrechtliche Auseinandersetzung kann im Einzelfall sehr komplex werden. Versicherer können beispielsweise unterschiedlichen Ansichten zum Thema der Deckung haben. Möglich ist auch, dass die von den Versicherern erteilten Weisungen oder Zustimmungen voneinander abweichen, bspw. wenn es um die Angemessenheit von Stundensätzen der mit der Anspruchsabwehr mandatierten Anwälte oder um Zustimmungen zu Vergleichen geht.

Heute ist es nicht unüblich, dass D&O-Tower mit 10 oder mehr beteiligten Versicherern gebildet werden. Einerseits schafft dies ausreichende Versicherungssummen für komplexe Großrisiken, anderseits wachsen mit der Anzahl der beteiligten Versicherer auch die Herausforderungen für die beteiligten Parteien. Sowohl bei der Gestaltung dieser vielschichtigen Versicherungstürme als auch bei der Schadenbearbeitung gibt es viele Fallstricke zu beachten. Auch im aktuellen D&O-Fall der  Wirecard AG werden die Hürden der Exzedentenversicherung sicherlich eine Rolle spielen. Großschadenfälle wie dieser sind aber auch stets eine Möglichkeit, bestehende Klauseln auf die Probe zu stellen und aus gegebenenfalls aufkommenden Problemen für die Zukunft zu lernen.

Claimsexperte

Elke Seiz

Elke Seiz

Claims Expert & Legal Counsel | Volljuristin