Auswirkungen des Lieferkettengesetzes auf die D&O-Versicherung
Der Bundestag hat am 11. Juni 2021 das lang diskutierte Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten (sog. „Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz“ oder „Lieferkettengesetz“) verabschiedet. Durch das neue Gesetz werden in der Bundesrepublik Deutschland ansässige Unternehmen ab einer bestimmten Größe verpflichtet, ihrer Verantwortung in der Lieferkette nachzukommen.
Sorgfaltspflichten und Ziel des Gesetzes
Unternehmen müssen sicherstellen, dass in ihrer gesamten Lieferkette – national wie international – keine Menschenrechte verletzt werden und die Umwelt nicht zerstört wird. Hierzu erlegt das Lieferkettengesetz den Unternehmen verschiedene Sorgfaltspflichten auf, mit dem Ziel, menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken vorzubeugen, sie zu minimieren sowie die Verletzung menschenrechtsbezogener und umweltbezogener Pflichten zu beenden. Die Unternehmen werden z.B. verpflichtet, ein Risikomanagement entlang der gesamten Lieferkette einzurichten und dieses wirksam umzusetzen. Sie müssen unter anderem darüber hinaus eine Grundsatzerklärung verabschieden, Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich sowie gegenüber unmittelbaren Zulieferern verankern, ein Beschwerdeverfahren errichten und insbesondere Abhilfemaßnahmen ergreifen, sollte das Unternehmen die Verletzung einer geschützten menschenrechtsbezogenen oder umweltbezogenen Pflicht bei sich oder einem Zulieferer feststellen.
Inkrafttreten und Adressaten
Durch das Gesetz werden lediglich größere Unternehmen verpflichtet. Zunächst sind ab dem 1. Januar 2023 Unternehmen mit 3.000 oder mehr Arbeitnehmenden betroffen. Ab dem 1. Januar 2024 werden alle Unternehmen mit 1.000 oder mehr Arbeitnehmenden verpflichtet.
Sanktionen – Bußgelder und Ausschluss bei der Vergabe öffentlicher Aufträge
Die Einhaltung der Regelungen soll das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle gewährleisten. Bei Verletzung der Sorgfaltspflichten können Zwangs- und Bußgelder gegen die Unternehmen verhängt werden. Die Höhe ist nach Art und Schwere des Verstoßes gestaffelt und kann bis zu 800.000 Euro betragen. Bei Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 400 Mio. Euro kann sogar ein Bußgeld von bis zu 2 Prozent des Jahresumsatzes erhoben werden. Zudem können Unternehmen bis zu drei Jahre von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden. Eine – insbesondere von Entwicklungs- und Umweltorganisationen – geforderte zivilrechtliche Haftung der Unternehmen fand im verabschiedeten Gesetz hingegen keinen Einzug.
Erhöhte Haftungsrisiken für Unternehmen
Aufgrund der drohenden empfindlichen Geldbußen und des Ausschlusses bei der Vergabe öffentlicher Aufträge entstehen für die Unternehmen neue Haftungs- und Compliancerisiken. Die Haftungsrisiken der betroffenen Unternehmen erhöhen sich nicht nur geringfügig, da nun strenge unternehmerische Sorgfaltspflichten zur Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards gelten. Jedem Unternehmen ist daher dringend geraten, sich intensiv mit der Überwachung seiner Lieferkette auseinanderzusetzen und bei der Verletzung menschenrechts- oder umweltbezogener Pflichten einzuschreiten.
Unklar ist, in welchem Ausmaß Kontrolle und Einschreiten zu erfolgen haben. Die im Lieferkettengesetz aufgeführten Sorgfaltspflichten (z.B. Risikomanagement und Grundsatzerklärung) sind größtenteils unbestimmt und geben den Unternehmen keine klaren Handlungsanweisungen, so dass nicht klar ist, ob und in welchem Ausmaß die unternehmensinternen Maßnahmen den Anforderungen an das Gesetz angepasst werden müssen.
Erhöhte Haftungsrisiken für Manager
Auch wenn durch das Lieferkettengesetz explizit nur die Unternehmen verpflichtet werden ihrer Verantwortung in der Lieferkette nachzukommen, trifft die Unternehmensleitung die Verantwortlichkeit für die operationale Umsetzung der neuen Sorgfaltspflichten. Insofern ergibt sich hieraus kein Unterschied zum bereits bestehenden Haftungsrisiko von Organen, nach dem diese grundsätzlich haften, wenn sie nicht die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anwenden (vgl. § 43 GmbHG und § 93 AktG). Sorgfaltspflichten im Rahmen eines Lieferkettengesetzes haben insoweit auch eine klarstellende Wirkung, als dass zum einen die Geschäftsleitung zu Maßnahmen berechtigt ist, die es zum Ziel haben, auf Nachhaltigkeit in der Lieferkette zu achten, ohne damit per se im Widerspruch zum Shareholder-Value-Ansatz zu stehen. Zum anderen wird die Geschäftsleitung dazu verpflichtet, abzuwägen zwischen wirtschaftlichen Zielen und Nachhaltigkeitserwägungen/-maßnahmen und die wirtschaftlichen Ziele des Unternehmens nicht ohne Achtung der Schutzgüter des Lieferkettengesetzes zu verfolgen.
Auswirkungen des Lieferkettengesetzes auf die D&O-Versicherung
Wie bei der Einführung jedes neuen Gesetzes (vgl. z.B. unseren Blogbeitrag zu den Auswirkungen des StaRUG auf die D&O-Versicherung https://finlex.io/versicherungen/neue-haftungsrisiken-fuer-manager-auswirkungen-des-starug-auf-die-do-versicherung/), welches eine Haftung für Unternehmen oder deren Manager statuiert, ist auch bzgl. des Lieferkettengesetzes zu untersuchen, welche Auswirkungen das Gesetz auf den Anwendungsbereich der D&O-Versicherung hat.
Bußgelder
Da die Hauptsanktionen des Lieferkettengesetzes Zwangs- und Bußgelder sind, ist insbesondere zu fragen, ob diese im Rahmen einer D&O-Police versichert wären. Bei der D&O-Versicherung handelt es sich um einen Versicherungsvertrag zugunsten der versicherten Organe. Wird daher gegen das Unternehmen ein Bußgeld erhoben, fällt dies zunächst nicht unter den Anwendungsbereich der D&O-Versicherung. Denkbar ist jedoch, dass in einem zweiten Schritt das Unternehmen ein Leitungsorgan in Höhe des Bußgeldes in Regress nimmt und ihm vorwirft, es habe bzgl. der Einhaltung der Regelungen des Lieferkettengesetzes nicht die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewendet.
Ob Unternehmensbußgelder im Rahmen eines Innenregresses gegen Geschäftsleiter überhaupt geltend gemacht werden dürfen, ist rechtlich weiterhin noch nicht abschließend geklärt. Bzgl. der Weiterreichung von Kartellstrafen hat das LG Saarbrücken (Az. 7HK O 6/16 und 7 HK O 21/19) kürzlich zwar entschieden, dass Geldbußen gegen Unternehmen nicht bei Organen regressierbar sind. Ob eine Entscheidung bzgl. eines Bußgeldregresses auf Grundlage des Lieferkettengesetzes ebenso ausfallen würde, ist indes nicht vorhersehbar.
Festzuhalten ist aber, dass die Abwehrkosten des Organs gegen den vom Unternehmen geltend gemachten Anspruchs im Rahmen einer Finlex D&O-Police grundsätzlich gedeckt wären. Darüber hinaus bestünde Versicherungsschutz auch für das Bußgeld an sich, sollte die Regressierbarkeit des Bußgeldes und Haftung des Organs festgestellt werden. Denn im Finlex Spezialkonzept wird auch Versicherungsschutz für Regressansprüche der versicherten Unternehmen gegen versicherte Personen wegen gegen versicherte Unternehmen verhängter Vertragsstrafen, Bußgelder oder Geldstrafen gewährt.
Innenhaftungsfälle
Abgesehen von Bußgeldern, die gegen das Unternehmen aufgrund des Lieferkettengesetzes verhängt werden und im Innenregress gegen Organe geltend gemacht werden, sind weitere Haftungsszenarien im Zuge des Innenregresses denkbar. Insbesondere ist zu erwarten, dass wenn dem Unternehmen durch den Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge Vermögensschäden entstehen, Leitungsorgane vom Unternehmen in Höhe der Schäden in Anspruch genommen werden. Hat das Organ nicht die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewendet, weil es die Sorgfaltspflichten des Lieferkettengesetzes nicht oder nur unzureichend umgesetzt hat, handelt es sich um eine übliche Inanspruchnahme, die im Rahmen der D&O-Police grundsätzlich versichert ist. Dies gilt ebenso für Ansprüche, die z.B. gegen ein Organ geltend gemacht werden, weil dem Unternehmen aufgrund der Pflichtverletzung Kosten durch notwendige interne Ermittlungen entstanden sind oder dem Unternehmen lukrative Aufträge entgangen sind. Das Finlex Spezialkonzept enthält hierbei keine besonderen Ausschlüsse (im Gegensatz zu anderweitig existierenden Standardkonzepten, wonach Umwelteinwirkungen und/oder Wettbewerbsbeschränkungen zum Ausschluss führen könnten).
Außenhaftungsfälle
Da das Lieferkettengesetz lediglich eine Haftung der Unternehmen vorsieht, ist auf den ersten Blick nicht damit zu rechnen, dass Unternehmensorgane von betroffenen Dritten direkt in Anspruch genommen werden (sog. Außenhaftungsfälle). Sollten sich dennoch Direktansprüche der Geschädigten gegen Organe konstruieren lassen, weil das Lieferkettengesetz beispielsweise als Schutzgesetz einzustufen wäre, würden es sich bei den Ansprüchen wahrscheinlich um Personenschäden aufgrund von Menschenrechtsverletzungen handeln. Auch wenn Personen- und Sachschäden grundsätzlich nicht vom Versicherungsschutz von Standard-D&O-Policen umfasst sind, bietet das Finlex Spezialkonzept dennoch einen gewissen Versicherungsschutz, da nicht jegliche Personen‐ oder Sachschäden ausgeschlossen sind. Z.B. enthält das Finlex Spezialkonzept eine Klausel, dass sofern ein Personen‐ oder Sachschaden geltend gemacht wird, der Versicherer Versicherungsschutz zur außergerichtlichen Abwehr dieser Schadenersatzansprüche gewährt. Dies hat den großen Vorteil, dass die außergerichtlichen Anwaltskosten zur Schadensabwehr umfassend ersetzt werden.
Zusammenfassung
Aufgrund des Lieferkettengesetzes entstehen für Unternehmen und Unternehmensleiter neue Haftungsrisiken durch erhöhte unternehmerische Sorgfaltspflichten zur Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards. Insbesondere durch drohende empfindliche Geldbußen und dem Ausschluss bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, können den Unternehmen erhebliche finanzielle Schäden entstehen, die im Innenregress gegen Unternehmensorgane geltend gemacht werden könnten. Solange keine üblichen Ausschlussgründe vorliegen (z.B. wissentliche Pflichtverletzung), sind die neuen Haftungsszenarien des Lieferkettengesetzes jedoch grundsätzlich unter aktuellen D&O-Spezialkonzepten versichert.
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