Reform des deutschen Versicherungsteuergesetzes – „geänderte Rechtsauffassung“ der Versicherungsunternehmen?
Im Dezember 2020 wurde eine Reihe von Änderungen des Versicherungsteuergesetzes eingeführt, die zwar zu großen Diskussionen und Klärungsbedarf geführt hatten, jedoch auch drei Monate später noch unklar waren. Wir hatten im Blog vom 19.03.2021[1] den damalige Sachstand dargestellt.
Im Nachgang an den überarbeiteten FAQ-Katalog des GDV und PKV vom 30.06.2021, sowie das BMF-Merkblatt vom 20.07.2021, schildern wir nachfolgend die geänderte Rechtsauffassung von (fast allen) deutschen Versicherern. Danach wird keine deutsche Versicherungssteuer mehr auf Risiken erhoben, die sich auf Nicht-EWR-Tochtergesellschaften beziehen und bereits gezahlte Steuern werde unaufgefordert zurückerstattet.
Zu erwähnen ist, dass im Vereinigten Königreich niedergelassenen Versicherer seit dem 01.01.2021 als „Drittlandversicherer“ gelten, sowie sich das Lloyd’s Taxation Department „des GDV FAQ-Dokuments bewusst“ und noch damit beschäftigt sei, „die Auswirkungen auf das durch die Lloyd’s Insurance Company S.A. gezeichnete Geschäft zu beurteilen“.
- Im Rahmen des BMF-Schreiben vom 4. März 2021[2] waren Unklarheiten verblieben um die Begriffe des „materiellen Versicherungsnehmers“ sowie der „Betriebsstätte, auf die sich das Versicherungsverhältnis bezieht“:(a) Sollte über die konzernorientierte Auslegung des EuGH, wie sie in der „Kvarner“-Entscheidung (C-191/99 vom 14.06.2001) vorgenommen wurde, hinausgegangen werden? Der Verdacht lag nahe, einen zusätzlichen Steuerzugriff zu gewinnen in all den Sachverhalten, in denen – bei deutschen Versicherungsnehmern – gleichwohl das versicherte Risiko außerhalb des EWR belegen ist.(b) Sollte hinsichtlich der Begrifflichkeit der „Betriebsstätte“ eine Auslegung nach Maßgabe des § 12 AO gelten – oder eine EU-rechtliche Auslegung, sobald das Risiko in keinem Mitgliedstaat belegen ist?
- Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV)* hat seinen „mit größtmöglicher Sorgfalt“ erstellten Fragen-Antworten-Katalog (FAQ) zuletzt am 30.06.2021 aktualisiert: Diesem FAQ fehlt es natürlich an Rechtsverbindlichkeit, gleichwohl wurde er wohl zumindest „teilweise mit dem Bundesfinanzministerium abgestimmt“. Relevant ist insbesondere die Frage 3:Tochterunternehmen / Selbständige Tochtergesellschaften
Fallen auch Tochterunternehmen bzw. rechtlich selbständige Tochtergesellschaften unter den versicherungsteuerlichen Betriebsstättenbegriff?Antwort:
Nein. Sofern es sich um Tochtergesellschaften in Drittländern handelt, ist nach Auffassung des BMF der vom EuGH weit ausgelegte Begriff der „Niederlassung“ (des Versicherungsnehmers), der auch Tochtergesellschaften mit umfasst, nicht einschlägig. Es ist vielmehr auf den Betriebsstättenbegriff gemäß § 12 AO abzustellen, der selbständige Tochtergesellschaften nicht mit umfasst.
Bei Tochtergesellschaften mit Sitz in einem anderen EWR-Staat hat dieser EWR-Staat das Besteuerungsrecht (EuGH vom 14.6.2001, C-191/99 – Kvaerner). Das gleiche Ergebnis wird unter Anwendung des § 1 Abs. 5 VersStDV erzielt. Die Versicherung einer fremden Gesellschaft oder von Teilen der fremden Gesellschaft (Betriebsstätte, entsprechende Einrichtung) ist nach § 1 Abs. 2 Satz 3 VersStG i. V. m. § 1 Abs. 5 VersStDV nur steuerbar, wenn und soweit sich die fremde Gesellschaft oder deren versicherte Teile im Geltungsbereich des VersStG befinden.
- Das BMF-Merkblatt für EU-/EWR-Versicherer[3] vom 20.07.2021 richtet sich an alle Versicherer, die im Gebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder anderer Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) niedergelassen sind. Im Abschnitt „III. Steuerbarkeit“ unterscheidet das Bundesministerium der Finanzen detailliert zwischen Verträgen mit EWR-Versicherern und Drittlandversicherern, erläutert die drei Sondertatbestände des § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VersStG und widmet sich sodann dem Allgemeinen Tatbestand des § 1 Abs. 2 Satz 3 VersStG.Für Steuerbarkeit reicht es danach aus, „dass sich das Unternehmen, die Betriebsstätten oder entsprechende Einrichtungen, auf die sich das Versicherungsverhältnis bezieht, im Geltungsbereich des VersStG befinden.“Empfohlen sei ein Blick auf das Schaubild auf Seite 3 des BMF-Merkblatts, das die Komplexität der Regelungen visualisiert, und hierbei durchaus eine Hilfestellung zur Regelungstechnik des § 1 VersStG gibt.
- Auch die nachfolgende Antwort des Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) bestätigt die Position des GDV:„Mangels eigener Definition des Begriffs “Betriebsstätte” im VersStG oder in der VersStDV findet § 12 AO Anwendung. Betriebsstätte ist ein Teil eines Unternehmens, aber kein selbständiges Unternehmen. Eine Tochtergesellschaft ist ein rechtlich selbständiges Unternehmen und damit keine Betriebsstätte eines anderen Unternehmens.”
- Im Nachgang erreichen uns seit Ende Juli Informationen und Updates von (fast allen) deutschen Versicherungsunternehmen mit einer „geänderten Rechtsauffassung“, wonach (nun doch) keine deutsche Versicherungsteuer mehr auf Risiken erhoben werden, die sich auf Nicht-EWR-Tochtergesellschaften beziehen:- Versicherungsteuer für Drittlandstöchter (d.h. Tochtergesellschaften des VN) werde nicht mehr erhoben bzw. bisher erhobene und gezahlte Steuer werde unaufgefordert zurückerstattet.
– Rechtlich unselbständige Niederlassungen in diesen Ländern seien nicht betroffen.
Auswirkungen:
Die Änderung betrifft nur Versicherungsnehmer mit Sitz in Deutschland, die seit Dezember 2020 Risiken in Bezug auf Nicht-EWR-Tochtergesellschaften versichert haben und für die deutsche Versicherungsteuer in Ansatz gebracht wurde. Die betroffenen Kunden sollten daher korrigierte Rechnungen und Rückerstattungen erhalten, und von den Versicherungsunternehmen unaufgefordert hierzu kontaktiert werden.
Wichtiger Hinweis für Versicherungsnehmer:
Oftmals ist für Vermittler/Versicherer die Natur von Auslandseinheiten nicht ersichtlich, d.h. ob es sich um eine Niederlassung oder eine Tochtergesellschaft handelt. Wir empfehlen daher dringend, dies in Ausschreibungs- oder Renewalunterlagen deutlich zu machen.
* Gemeinsam mit dem Verband der Privaten Krankenversicherung e.V. (PKV)
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